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Gertrud Maria Rösch (Hrsg.)

Fakten und Fiktionen. Werklexikon deutschsprachiger Schlüsselliteratur 1900-2010

Erster Halbband: Andres bis Loest

Titelinformation "Fakten und Fiktionen. Werklexikon deutschsprachiger Schlüsselliteratur 1900-2010"

Verschlüsselungen gehören zu den beliebtesten literarischen Kunstgriffen. Im Zentrum dieses Nachschlagewerkes liegen Erzähltexte des 20. Jahrhunderts, in denen historische Personen und Ereignisse eine tragende Rolle spielen, aber von ihren Autoren nicht alle bei ihrem «wirklichen » Namen genannt, also verschlüsselt wurden. Es beantwortet damit die Frage: Wer steht in diesen Romanen und Erzählungen für wen? Ist beispielsweise die fiktionale Darstellung Marcel Reich-Ranickis in Martin Walsers «Tod eines Kritikers» ein einmaliger Fall, der deswegen die Kontroverse im Jahr 2002 auf sich zog? Die Antwort lautet: Nein! Das Lexikon liefert dafür den Nachweis: Verschlüsselungen dieses prominenten Literaturkritikers finden sich auch bei Maxim Biller, Peter Handke, Thomas Hürlimann, Walter Kempowski, Bodo Kirchhoff und Uwe Tellkamp. In dieser Weise lassen sich Künstler, Literaten, Intellektuelle und Politiker in ihren literarischen Spiegelfiguren im Lexikon auffinden.

Seine 133 ausführlichen Autorenartikel erfassen zum ersten Mal jene etwa 200 literarischen Werke, in denen historische Personen und Begebenheiten durch spezifische Verschlüsselungsverfahren verhüllt und zugleich erkennbar gemacht werden. Bei den hier vorgestellten Prosaveröffentlichungen handelt es sich einerseits um ‚Schwergewichte‘ der deutschsprachigen Literatur des vergangenen Jahrhunderts, andererseits auch um Texte, die mit der Tagesaktualität ihres Gegenstands zwar schnell verfallen können, die jedoch Einsichten auf die zeitgleichen kanonischen Texte eröffnen. Indem diese Werke die jeweilige Zeitgeschichte in den Erzählkosmos integrieren, werden sie in ihrer Gesamtheit zu einer Bestandsaufnahme der politischen Geschichte und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Die Überschau beginnt mit dem gesellschaftlichen Panorama der Kaiserzeit vor 1914, zu dem die Bohèmezirkel – dargestellt bei H. und Th. Mann, O. J. Bierbaum, H. Essig, E. Reinacher, F. von Reventlow, A. Schaeffer und O. Schmitz – ebenso gehören wie die Innenansichten der Schule (u.a. bei R. Musil) und des Militärs, dessen geschlossene Welt O. Bilse und H. von Schullern beschreiben. Der Weltkrieg zwischen 1914 und 1918 und die neugegründete Weimarer Republik bilden den historischen Hintergrund der Romane von L. Feuchtwanger, A. Kolb, R. Schickele, G. Tergit, F. Werfel und A. Zweig. Einen Schwerpunkt der Beiträge macht die Literatur des Exils und der inneren Emigration aus. Die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland verbliebenen Autoren, unter ihnen W. Bergengruen, E. Jünger oder F. Reck-Malleczewen, mussten ihre Kritik in einer scheinbar unverdächtigen Erzählhandlung verbergen. Innerhalb der Exilliteratur überliefern W. Hasenclever, S. Heym, T. T. Heine, K. Mann, S. Morgenstern, J. Roth, W.G. Sebald, A. Seghers, E. Weiß und G. Weisenborn in ihren Büchern Alltagserfahrungen und persönliche Schicksale, die erst nach der Rekonstruktion ihre authentisch gedeckte Materialfülle erkennen lassen.

Eine lange Spur bildet die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in den deutschsprachigen Literaturen nach 1945. Auffällig häufi g beschäftigen sich Texte mit drei Phasen der bundesdeutschen Politik und Geschichte: mit der Studentenbewegung und dem gesellschaftlichen Aufbruch von 1968, den terroristischen Anschlägen 1977 und den Folgen dieses ‚Deutschen Herbstes‘ sowie mit der Maueröffnung und den Geschehnissen bei und nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1989/90. ? Innerhalb der Nachkriegsliteratur wird hier zum ersten Mal die Literatur der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) unter dem Aspekt untersucht, wie und in welchen Formen sie unter den Bedingungen der Zensur die politischen und gesellschaftlichen Zustände erzählend aufnahm und diese in ‚äsopischer Sprache‘ darstellte.

Die Autorenbeiträge bieten nach einem Inhaltsabriss der besprochenen Titel eine Werkanalyse, die v.a. das Zusammenspiel der historischen und fiktionalen Elemente herausstellt. Diese Einzelanalysen brechen die Grenze zwischen Historiographie und schöner Literatur auf und machen sichtbar, wie vielfältig und kontinuierlich Literatur und Geschichte schon immer miteinander verbunden waren.

Der internationalen Germanistik wird mit diesem Nachschlagewerk ein Arbeitsinstrument zur Verfügung gestellt, das sowohl die vorliegenden Forschungen zum Realitätsgehalt einzelner Werke bündelt wie auch dieses Forschungsfeld durch eigene Recherchen erweitert. Ebenso hilfreich dürfte es für Historiker, Juristen, Politiker und Journalisten sein, stellen die literarischen Arbeiten doch ein authentisches Zeitporträt dar, wenngleich gesehen durch die ‚Brille‘ dichterischer Imagination.

Zur leichten Benutzbarkeit des Handbuchs tragen die strukturierten Beiträge ebenso bei wie die Register: Register der historischen Personen, Werkregister, Sachregister und ein Ortsregister zeigen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Untersuchungen auf und erschließen den zeitgeschichtlichen Gesamtkosmos. Das Werklexikon steht in einer langen Tradition und stellt die Neukonzeption eines zum Klassiker gewordenen Nachschlagewerks dar: Georg Schneider, Die Schlüsselliteratur. 3 Bände, erschienen im Verlag Anton Hiersemann zwischen 1951 und 1953. Das Register von Schneiders zweitem Band: «Entschlüsselung deutscher Romane und Dramen», wird jetzt im zweiten Halbband des Werklexikons wiederabgedruckt.

Die Herausgeberin, Professor Dr. Gertrud Maria Rösch, lehrt Literaturwissenschaft an der Universität Heidelberg.

Der zweite Halbband ist 2013 erschienen (ISBN 978-3-7772-1214-2).

 

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ISBN: 978-3-7772-1214-2
Mit dem zweiten Halbband liegt das Werklexikon deutschsprachiger verschlüsselter Literatur des 20. Jahrhunderts nun abgeschlossen vor. Seine 133 ausführlichen Autorenartikel erfassen zum ersten Mal etwa 200 literarische Werke, in denen historische Personen und Begebenheiten durch spezifische Verschlüsselungsverfahren verhüllt und doch zugleich identifizierbar gemacht werden. Indem diese Werke die jeweilige Zeitgeschichte in ihren Erzählkosmos integrieren, werden sie in ihrer Gesamtheit zu einer Bestandsaufnahme der politischen Geschichte und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die Autorenbeiträge bieten nach einem Inhaltsabriss der besprochenen Titel eine Werkanalyse, die vor allem das Zusammenspiel der tatsächlichen historischen und der fiktionalen Elemente herausstellt. Diese Einzelanalysen brechen die Grenze zwischen Historiographie und schöner Literatur auf und machen sichtbar, wie vielfältig und kontinuierlich Literatur und Geschichte schon immer miteinander verbunden waren.Zwangsläufig verdeckt die Anordnung nach Autornamen in alphabetischer Reihung ein Netz von Inhalten, die dem Benutzer auf dem Weg der Register erschlossen werden. Im Register der historischen Personen sind sowohl die wirklichen Namen der Urbilder bzw. Modelle entschlüsselt, die sich hinter den fiktionalen Figuren verbergen, wie auch alle anderen historischen Namen in dem jeweiligen Artikel. Hier erst lassen sich die unterschiedlichen Konstellationen vergleichen, in denen Industrielle wie Walther Rathenau und Hanns-Martin Schleyer in der Literatur erscheinen; ebenso lassen sich die irrlichternden Porträts von Revolutionären wie Wladimir Iljitsch Lenin, Leo Trotzki und Che Guevara verfolgen. Zusammen mit dem Sachregister ergeben sich Entdeckungen und unerwartete Perspektiven auf die Detailfülle der jeweiligen Analysen. Im Werkregister sind alle fiktionalen wie nichtfiktionalen Werke aufgelistet, die in den Autorenartikeln ausführlich besprochen sind, ergänzt von Registern der erwähnten Zeitschriften und Zeitungen sowie jener den Themen gewidmeten Spielfilme und TVSendungen. Damit öffnet sich, etwa in Romanen wie Liebe und Bananen (1927) von Artur Landsberger und Käsebier erobert den Kurfürstendamm (1931) von Gabriele Tergit, das ganze Panorama der Film- und Vergnügungsindustrie im Berlin der Zwanziger Jahre. Die Topographien der Metropolen gehören zu den erwartbaren Schauplätzen der Literatur, aber wie steht es um die zahllosen Städte von Badenweiler bis Wuppertal? Im Ortsregister sind die realen Namen der Städte und Orte aufgeführt – ihre fiktionalen Namen können im jeweiligen Beitrag nachgeschlagen werden ?, die in den einzelnen Werken erscheinen.Wieder abgedruckt wurde das Register aus Band II von Georg Schneiders Die Schlüsselliteratur (1951- 1953); es verlängert die Untersuchungsperspektive des vorliegenden Werklexikons hinein in das 19. /18. und 17. Jahrhundert und ist eine Quelle von unerwarteten Funden, die auf diese Weise wieder dem Interesse des Lesers zugänglich werden. – Die Register im vorliegenden zweiten Teilband sind mehr als ein zentrales Rechercheinstrument; sie vermögen die kulturhistorische Dimension der verschlüsselten Literatur vor Augen zu führen.Der internationalen Germanistik wird mit diesem Nachschlagewerk ein Arbeitsinstrument vorgelegt, das sowohl die existierenden Forschungen zum Realitätsgehalt einzelner Werke bündelt und zugleich dieses Forschungsfeld durch eigene Recherchen erweitert. Ebenso hilfreich dürfte es für Historiker, Politiker, Journalisten und Juristen sein, stellen diese Texte doch ein authentisches Zeitporträt dar, wenngleich gesehen durch die ‚Brille‘ dichterischer Imagination.Die Herausgeberin, Professor Dr. Gertrud Maria Rösch, lehrt Literaturwissenschaft an der Universität Heidelberg.Der erste Halbband erschien 2011 und ist lieferbar:XXX, 406 Seiten. Leinen.ISBN 978-3-7772-1130-5.«Schlüsselliteratur, das zeigt das Lexikon Fakten und Fiktionen nachdrücklich, verdeutlicht wie kaum ein anderes Genre das Bemühen von Autorinnen und Autoren, Gesellschaft und Politik, mitunter auch den Literaturbetrieb der eigenen Zeit mit den Mitteln des Literarisch-Fiktiven einer unmittelbaren Kritik zu unterziehen. Dieser eminent kritische Impetus von Schlüsselwerken ist es auch, der das vorliegende Lexikon zu einem wichtigen Hilfsmittel nicht nur für Literaturwissenschaftler, sondern auch für Historiker und Gesellschaftswissenschaftler werden lässt. Die Schlüsselwerke reagieren nämlich auf die „Bedrängung ihrer Zeit“, die von den betreffenden Literaten empfunden wurden und werden. Gegenüber diesen Bedrängungen fordern die Werke von ihrem jeweiligen Standpunkt aus Freiheitsrechte ein, die – dem faktischfiktiven Doppelcharakter des Genres entsprechend – immer zugleich Rechte politischer wie künstlerischer Freiheit sind.»Aus einer Rezension von Stefan Jordan,Historische Kommission beider Bayerischen Akademie der Wissenschaften,München, in «Monatshefte» vol. 104, 4, 2012.

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